Keine Regeln

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Keine Regeln

Warum Netflix so erfolgreich ist

Stell dir vor, du hättest damals diese Aktie gekauft … Ist das nicht eine Frage, die sich jeder stellt, der sich mit Aktien beschäftigt? Manch einer denkt vielleicht auch an diese Aktie eines Unternehmens, die am 05.12. 2003 für gerade einmal 2,84 € an die Börse ging. Heute ist die Aktie dieses Unternehmens 295 € wert. Was macht dieses Unternehmen anders, um im turbulenten Medienmarkt zu überleben, um sich vom DVD-Verleih per Post zu einem der größten Streaming-Dienste zu entwickeln, um weltweit tätig zu sein und sogar einen Streaming-Dienste-Verweigerer zu verändern? In meinem Fall: Freenet kündigen und Netflix abonnieren?

Reed Hastings und Erin Meyer erklären in ihrem Buch „Netflix“, warum dieses Unternehmen so erfolgreich ist und untermauern Fakten mit unterhaltsamen Geschichten und vielen Beispielen.

Das Buch gliedert sich nach der Einleitung mit der „Vor“-Geschichte des Unternehmens und der ersten Idee einer Netflix-Kultur in zehn Abschnitte.

Warum brauche ich Talentdichte?

In den ersten drei Kapiteln wird die Basis des Erfolgs als Suche nach einer hohen Talentdichte unter den Mitarbeitern beschrieben. Sie befassen sich mit dem „Wie und Warum“ der Suche nach kreativen und engagierten Mitarbeitern, die kooperativ im Team arbeiten, Verantwortung übernehmen und Risiken eingehen. Um Menschen dazu zu befähigen, ist es nach Ansicht der Autoren notwendig, Regeln abzuschaffen und einen Kontext – eine Art Rahmen für Entscheidungen – zu schaffen. So werden Regeln und auch Genehmigungsverfahren abgeschafft, Ehrlichkeit, Offenheit und Feedback zur Kultur erklärt und eingefordert. Um neue Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden, sollten entsprechende Gehälter gezahlt werden. Wer sich jetzt fragt: „Wie machen die das? Ohne Regeln?“ – der wird gespannt die Geschichten, Anekdoten und Beispiele dazu lesen.

Wie schaffe ich eine Kultur der Freiheit und Verantwortung?

In den Kapiteln vier bis sechs werden die zuvor allgemein formulierten Anforderungen an die Unternehmenskultur hinsichtlich Talentdichte, Transparenz und Abbau von Kontrollmechanismen vertieft. Angemessene Vergütungssysteme und die Entlohnung der Mitarbeiter beinhalten gleichzeitig gute Tipps für die eigene Gehaltsverhandlung. Gekonnt schlagen die Autoren dann den Bogen zu verantwortungsbewussten Mitarbeitern und deren Umgang mit Transparenz im Unternehmen und Offenheit – auch beim Feedback. Sie erläutern anhand von Beispielen, wie dieses Wissen und das entgegengebrachte Vertrauen von Mitarbeitern genutzt werden kann, um ohne große Genehmigungsverfahren schnelle Entscheidungen im Sinne des Unternehmens zu treffen. Aber auch der Umgang mit Misserfolgen wird thematisiert. So werden Misserfolge bei Netflix als Teil eines Lernprozesses verstanden.

Techniken zur Umsetzung

In den Kapiteln sieben bis neun geht es um die praktische Umsetzung der Regeln aus den vorangegangenen Kapiteln. Der Leser lernt die Bedeutung des Keeper-Tests kennen: „Wenn ich mit dem Gedanken spiele, das Unternehmen zu wechseln, wie viel Mühe würden Sie sich geben, um mich umzustimmen? Der Leser wird daran erinnert, dass Gehälter nicht nur von der Leistung, sondern auch vom Markt abhängen! Es werden Geschichten erzählt, wie ehrliches und kontinuierliches Feedback das Team voranbringt. Es wird die Idee eines sich selbst regulierenden und selbst lernenden Unternehmens vermittelt, in dem der Kontext – das Verständnis des Unternehmens und seiner Prinzipien – die Grenzen für Entscheidungen setzt.

Weltweit eine Herausforderung

Das letzte Kapitel befasst sich mit den kulturellen Grenzen einer solchen Unternehmenskultur. Dabei wird ein zentrales Regulativ, nämlich der Feedbackprozess, betrachtet. Der Leser erkennt, dass es nicht so einfach ist, wie es sich anhört.

Fazit:

Die Autoren machen aus der abstrakten Theorie von intelligenten Mitarbeitern, Vertrauen und einem sich selbst kontrollierenden System durch Transparenz, Verantwortung und Feedback etwas Lebendiges. Feedback-Regeln und positive wie negative Beispiele lassen Dich über Dein eigenes Unternehmen nachdenken und zeigen Dir, wie auch Du etwas verändern kannst. Gute Ratschläge wie „Gib niemals Feedback, wenn Du wütend bist“ wechseln sich ab mit Leitsätzen wie „Ermutige Mitarbeiter, Risiken einzugehen und Fehler als unvermeidlichen Teil des Prozesses zu betrachten“.

Das Buch fordert dazu auf, Mitarbeitern Verantwortung und Freiraum zu geben, um in sich schnell verändernden Märkten schnell und nachhaltig zu lernen und ein agiles, anpassungsfähiges und erfolgreiches Unternehmen mit großartigen Mitarbeitern zu schaffen. Regeln werden abgeschafft, der Mitarbeiter wird befähigt, in Zusammenhängen zu denken. Das entscheidungsrelevante Wissen wird vermittelt und was das bedeutet, erfährt man hier.

Wer dieses Buch liest und mit Führungsstilen und Literatur wie Stephen Coveys „Schnelligkeit durch Vertrauen“ vertraut ist, wird vieles wiedererkennen. Und doch ist es neu, unterhaltsam und einprägsam erzählt. Es nimmt die Scheu, das eine oder andere im eigenen Unternehmen anzuwenden, einzufordern oder genauer unter die Lupe zu nehmen. Durch die vielen Beispiele und die unterhaltsame Erzählweise ist es sowohl für den Neuling als auch für den alten Hasen geeignet. Der einzige Schwachpunkt im System geht einem vielleicht nie ganz aus dem Kopf: Ist die notwendige Talentdichte vorhanden? Ist ein Unternehmen immer bereit, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen?

Dies ist kein Lehrbuch und die Komplexität eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter bringt auch Schwierigkeiten mit sich, aber auch diese Aspekte werden hier angesprochen und zeigen auch die Grenzen eines Unternehmens auf, das ohne Regeln auf Erfolgskurs ist.

Mein Fazit:

Wer ein unterhaltsames Buch über Führung, Unternehmenskultur und den Erfolg von Netflix lesen möchte, ist hier genau richtig.

Bewertung: Sinnvoll
Geeignet für: Anfänger und Fortgeschrittene

Über die Autoren:

Reed Hastings (Jahrgang 1960) ist Gründer und CEO von Netflix. Er hat seinen Abschluss am Bowdoin College in Brunswick gemacht und den Master an der Stanford absolviert. Er sieht sich als Menschenfreund, was wohl auch seine vergangene freiwillige Tätigkeit im Friedenscorps in Swasiland erklärt. Menschen, die die Welt verbessern sind wichtig, CEOs, die dies mit Unternehmen machen, leider selten.
Erin Meyer ist Professorin an der Insead Business School in Paris. Auch sie hat im Friedenscorps, aber in Botswana, gedient. Ihr wichtigstes Buch ist The Culture Map: Breaking Through the Invisible Boundaries of Global Business.

Autor: Reed Hastings, Erin Meyer

Verlag: Econ

Erscheinungsdatum: 14. September 2020

Gebundene Ausgabe:  400 Seiten

Genre: Unternehmensethik

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